Durchblick #49: Smartphones in der Schule – Zwischen Verbot und Integration
Updates für Bildung in einer exponentiellen Welt
Liebe Leser und Leserinnen,
willkommen zum neuen “Durchblick”. Die Smartphone-Debatte wird bereits seit Monaten kontrovers geführt. Studien zeigen: Übermäßiger Smartphone-Konsum beeinträchtigt nachweislich die Sprachkompetenz und das soziale Miteinander. Gleichzeitig wird Medienkompetenz zunehmend zur Schlüsselqualifikation im exponentiellen Zeitalter. Während einige Schulen strikte Handyverbote einführen und dabei Erfolge vermelden, warnen Schülervertretungen vor digitaler Rückständigkeit. Wie können Schulen diesen Spagat meistern?
Lassen Sie sich inspirieren, heute vom Schwerpunkt “Schule als digitaler Schutzraum?” Haben Sie noch Fragen oder Ideen? Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
Hirnforscher: Soziale Medien beeinträchtigen Sprach- und Lesekompetenz von Schülern // news4teachers.de
Die Forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse KKH zeigt, dass 93 Prozent der 12- bis 19-Jährigen täglich soziale Medien nutzen, wobei die meisten (79 Prozent) passive Konsumenten sind. Die Hauptmotive sind Unterhaltung, Zeitvertreib und Kontaktpflege. Problematisch sind die permanente Smartphone-Verfügbarkeit und negative Erfahrungen wie Cybermobbing (ca. 20 Prozent der Befragten). Laut KKH-Datenanalyse haben Sprachentwicklungsstörungen (8,6 Prozent) und motorische Störungen (3 Prozent) bei 6- bis 18-Jährigen im Vergleich zu 2013 zugenommen. Hirnforscher Prof. Korte sieht einen Zusammenhang zwischen der intensiven Nutzung kurzer Kommunikationsformate und abnehmender Sprach- und Lesekompetenz, betont aber auch positive Effekte wie gesteigerte visuelle Intelligenz.
Die Umfrage offenbart ein modernes Paradoxon: Während wir in einer Zeit leben, in der Kommunikation noch nie so einfach war, scheinen fundamentale Kommunikationsfähigkeiten zu erodieren. Dies wird besonders brisant im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der Mensch-KI-Interaktion. Präzise sprachliche Ausdrucksfähigkeit wird zur Schlüsselkompetenz: Je besser man seine Gedanken und Anforderungen formulieren kann, desto effektiver wird die Zusammenarbeit mit KI-Systemen sein. Auf der anderen Seite könnten KI-Assistenten aber auch als "geduldige Sprachlehrer" fungieren und durch kontinuierliches Feedback zur Verbesserung der Sprachkompetenz beitragen.
Ist also eine Lösung bereits in Sicht, oder wird sich das Problem in Zukunft verschärfen? Fakt ist zumindest, dass dieser aktuell negative Trend mit der weiten Verbreitung von Smartphones unter Jugendlichen zusammenhängt.
Cybermobbing bei Kindern und Jugendlichen nimmt weiter zu // bildungsklick.de
Die aktuelle "Cyberlife V"-Studie zeigt einen besorgniserregenden Anstieg von Cybermobbing bei Schülern zwischen 7 und 20 Jahren auf 18,5 Prozent (über 2 Millionen Betroffene). Die gesundheitlichen Folgen sind gravierend: 57 Prozent fühlen sich verletzt, 30 Prozent sind verängstigt, 26 Prozent äußern Suizidgedanken und 13 Prozent greifen zu Suchtmitteln. Während präventive Schulmaßnahmen leicht zugenommen haben (von 48 auf 55 Prozent), ist die Opferunterstützung gesunken (von 37 auf 28 Prozent). Sowohl Lehrkräfte als auch Eltern fühlen sich mit der Situation überfordert. Das Bündnis gegen Cybermobbing fordert verstärkte Präventionsarbeit, ein Cybermobbinggesetz, flächendeckende Beratungsstellen und die Einführung einer Klarnamen-Pflicht in sozialen Medien.
Neben abnehmender Lese- und Schreibkompetenz ist Cybermobbing der zweite Problemkomplex, der unbestreitbar mit der Verbreitung von Smartphones einhergeht. Inzwischen verschmelzen digitale und analoge Identität zunehmend und ein beleidigendes Posting kann verheerendere Auswirkungen haben als ein Streit auf dem Schulhof. Die zentrale Herausforderung für Bildungseinrichtungen wird zukünftig sein, neben der Vermittlung von allgemeiner Medienkompetenz auch eine "digitale Ethik" zu etablieren. Und die beginnt beim Miteinander im Klassenraum und auf dem Schulgelände.
Besser ohne? Smartphone-Verbot an Schulen birgt (richtig begleitet) Vorteile // news4teachers.de
Eine Übersichtsstudie von Prof. Klaus Zierer und Tobias Böttger (Universität Augsburg) untersuchte fünf europäische Studien zu den Auswirkungen von Smartphone-Verboten an Schulen. Die Ergebnisse zeigen, dass solche Verbote das soziale Wohlbefinden der Schüler steigern können, da mehr direkte Interaktion in den Pausen stattfindet und die Schule als "Schutzraum" vor Phänomenen wie Cyber-Bullying fungiert. Auch die Lernleistung könnte durch weniger Ablenkung im Unterricht profitieren. Die Forscher empfehlen, Verbote mit Bildungsmaßnahmen zur Förderung der Medienkompetenz zu kombinieren und schrittweise mehr Eigenverantwortung zuzulassen, um einen verantwortungsvollen Umgang mit Smartphones zu erreichen.
Wenn digitale Technologien immer mehr an Bedeutung gewinnen, mag ein Smartphone-Verbot an Schulen auf den ersten Blick wie ein anachronistischer Schritt wirken. Oder ist es vielleicht gerade im Zeitalter der zunehmenden Beschleunigung wichtiger denn je, bewusste Entschleunigungsräume zu schaffen? Könnte die Schule ein Ort sein, an dem junge Menschen lernen, dass zwischenmenschliche Beziehungen und fokussiertes Lernen auch ohne ständige digitale Vernetzung möglich und wertvoll sind?
Gleichzeitig darf dies aber nicht zu einer technikfeindlichen Haltung führen – im Gegenteil: Gerade, weil digitale Kompetenzen immer wichtiger werden, müssen Schulen die Kinder auf ein Leben in einer technologiegeprägten Welt vorbereiten. Die Kunst besteht darin, eine Balance zwischen Schutzraum und Lernlabor zu finden. So könnten Schulen im exponentiellen Zeitalter zu Orten werden, an denen man sowohl die Vorzüge der Technologie als auch die Werte der direkten menschlichen Interaktion schätzen lernt – und damit gleichzeitig die erodierende Kommunikations- und Empathiefähigkeit fördert.
Nach Handy-Verbot an Hamburger Gymnasium macht Schulleiter erstaunliche Beobachtung // focus.de
Das Christianeum in Hamburg-Othmarschen hat seit Beginn des neuen Schuljahres ein striktes Smartphone-Verbot für die Jahrgänge 5 bis 9 eingeführt. Die Geräte werden morgens abgegeben und erst am Schulschluss zurückgegeben. Auch in höheren Jahrgängen ist die Nutzung stark eingeschränkt. Die Entscheidung wurde einstimmig von Schulleitung, Lehrern, Eltern und Schülern getroffen. Schulleiter Stefan Prigge berichtet von einer verbesserten Atmosphäre und mehr Kommunikation und Interaktion zwischen den Schülern. Zuvor gab es trotz Nutzungsverbot häufig Probleme wie Cybermobbing, heimliche Aufnahmen und Ablenkung. Studien bestätigen, dass smartphonefreie Schulen sowohl das soziale Miteinander als auch die schulischen Leistungen verbessern. Erste positive Auswirkungen zeigen sich auch im Privatleben der Schüler, die beispielsweise "Digital-Detox-Challenges" organisieren.
Mit Blick auf dieses Beispiel fragen wir uns, ob es möglicherweise zunächst digitale Abstinenz benötigt, um digitale Kompetenzen nachhaltig zu entwickeln. Denn die spontan entstehenden "Digital-Detox-Challenges" der Schüler zeigen, dass sich durchaus ein Bewusstsein für die Notwendigkeit digitaler Balance entwickelt hat.
Spannend wird es sein, zu beobachten, was der Einzug von persönlichen KI-Assistenten auf den Smartphones in den nächsten Jahren verändern wird. Werden die digitalen Begleiter das Smartphone noch unverzichtbarer machen? Und können sie effektiv und hilfreich bleiben, wenn sie vom Lernort des Nutzers weitgehend abgeschnitten sind?
LandesschülerInnenrat: Handys dürfen nicht aus den Schulen verbannt werden! // bildungsklick.de
Der Landesschüler:innenrat Niedersachsen kritisiert das strikte Handy-Verbot an der Ursulaschule in Osnabrück und fordert einen zeitgemäßen Umgang mit digitalen Medien im Schulalltag. Pauschale Verbote entsprächen nicht mehr der Lebensrealität junger Menschen, für die Smartphones wichtige Werkzeuge der Organisation und Kommunikation sind. Stattdessen sollten digitale Geräte punktuell in den Unterricht integriert und Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation systematisch gefördert werden. Der LandesschülerInnenrat plädiert für klare und sinnvolle Regelungen, die den pädagogisch wertvollen Einsatz digitaler Lernmittel ermöglichen und Schüler befähigen, verantwortungsvoll und kompetent mit digitalen Geräten umzugehen.
Die Forderungen des LandesschülerInnenrats Niedersachsen verdeutlichen die Komplexität der Smartphone-Debatte im Bildungskontext. Während einige Schulen auf strikte Verbote setzen, um Ablenkung und negative Folgen zu minimieren, betonen die Schüler die Chancen digitaler Medien für zeitgemäßes Lernen.
Beide Perspektiven haben ihre Berechtigung – entscheidend ist, einen ausgewogenen Ansatz zu finden. Medienkompetenz ist ohne Zweifel eine essenzielle Fähigkeit, die aktiv gefördert werden muss. Gleichzeitig zeigen die Studien, dass unkontrollierte Smartphone-Nutzung Konzentration und Lernerfolg beeinträchtigen kann. Die Lösung könnte in flexiblen, pädagogisch durchdachten Konzepten liegen, die situativ entscheiden, wann digitale Geräte sinnvoll eingesetzt werden können und wann bewusster Verzicht angebracht ist.
Wichtig ist vor allem eines: Die Schüler als aktive Gestalter in diesen Prozess einzubeziehen und gemeinsam Regeln zu entwickeln.
Neuigkeiten und Termine
14.11.2024 // Willkommen im exponentiellen Zeitalter – Die disruptive Kraft der künstlichen Intelligenz
Vortrag bei der Gemeinde Rust06.11.2024 // Lernen im exponentiellen Zeitalter – Die disruptive Kraft der künstlichen Intelligenz
Vortrag an der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik in Lahr