Durchblick #52: Emotionales Outsourcing: Verändert KI unsere Beziehungskultur?
Updates für Bildung in einer exponentiellen Welt
Liebe Leser und Leserinnen,
willkommen zum neuen “Durchblick”. Eine aktuelle Indeed-Umfrage zeigt Erstaunliches: Jeder Fünfte zieht bereits heute das Gespräch mit KI dem Austausch mit Kollegen vor. Gleichzeitig offenbart das Deutsche Schulbarometer ein wachsendes Bedürfnis der Schüler nach echter menschlicher Zuwendung. Stehen wir vor einem gesellschaftlichen Wendepunkt? Während KI-Systeme immer menschenähnlicher werden und sogar Empfindungsfähigkeit entwickeln könnten, scheint die echte zwischenmenschliche Nähe zu schwinden.
Lassen Sie sich inspirieren, heute vom Schwerpunkt “Algorithmen versus Menschlichkeit” Haben Sie noch Fragen oder Ideen? Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
KI oder Mensch? Die Unterscheidung fällt vielen schwer // t3n.de
Eine aktuelle repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigt, dass etwa drei Viertel der deutschen Bevölkerung ab 16 Jahren KI-Programme wie ChatGPT kennen. Zwei Drittel dieser Gruppe empfinden es als schwierig, zwischen menschlicher und KI-generierter Kommunikation zu unterscheiden. Bei regelmäßigen KI-Nutzern ist diese Sorge etwas geringer ausgeprägt (50 Prozent), wobei jeder fünfte davon berichtet, während der Kommunikation mit KI-Systemen zeitweise vergessen zu haben, mit einer Maschine zu interagieren. Diese Entwicklung entspricht dem von Alan Turing 1950 konzipierten Turing-Test, der KI-Systemen dann "Intelligenz" attestiert, wenn sie in der Kommunikation nicht mehr von Menschen unterscheidbar sind.
Die zunehmende Verbreitung immer überzeugender agierender KIs wird das Bildungssystem vor ganz neue Herausforderungen stellen, die nicht technischer Natur sind.
Während früher das Vermitteln von Wissen im Vordergrund stand, wird es künftig essenziell sein, Lernende zu befähigen, kritisch zu reflektieren und authentische menschliche Interaktionen wertzuschätzen. Die voranschreitende Verbesserung der kommunikativen KI-Fähigkeiten macht es zunehmend notwendig, zutiefst menschliche Eigenschaften in den Mittelpunkt der Lehrpläne zu stellen: Empathie, emotionale Intelligenz und ethisches Urteilsvermögen.
Centaur: Neues KI-Modell soll menschliches Verhalten vorhersagen und simulieren können // t3n.de
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Marcel Binz hat "Centaur" entwickelt, ein KI-Modell zur Vorhersage und Simulation menschlichen Verhaltens. Das System basiert auf Metas Sprachmodell Llama 3.1 70B und wurde mit der Psych101-Datenbank trainiert – einer umfangreichen Sammlung psychologischer Experimente, die über 10 Millionen dokumentierte menschliche Entscheidungen aus 160 verschiedenen Versuchsanordnungen mit mehr als 60.000 Teilnehmern enthält. Diese Datenbank bildet ein breites Spektrum mentaler Prozesse ab, von Wahrnehmung über Denkvermögen bis hin zu Gedächtnisleistungen. Nach zusätzlichem Finetuning soll Centaur besser als bisherige Modelle mit menschlicher neuronaler Aktivität übereinstimmen und wird als erster ernsthafter Kandidat für ein einheitliches Modell menschlicher Kognition gesehen.
Wenn KI-Systeme durch präzises Training menschliches Verhalten, Entscheidungsfindung und kognitive Prozesse immer genauer nachbilden können, werden die Grenzen zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz zunehmend verschwimmen. Dies könnte zu KI-Systemen führen, die nicht nur menschenähnlich kommunizieren, sondern auch authentisch erscheinende emotionale Reaktionen und kontextabhängiges Sozialverhalten zeigen.
Für die Bildung bedeutet dies eine doppelte Herausforderung: Auf der einen Seite müssen wir lernen, diese hoch entwickelten Systeme als Werkzeuge für personalisiertes Lernen zu nutzen. Andererseits wird es wichtiger denn je, kritisches Denken und die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen echten menschlichen Beziehungen und überzeugenden KI-Simulationen zu fördern. Die zentrale Frage lautet nicht mehr nur, wie wir mit KI lernen, sondern auch, wie wir unsere menschliche Identität bewahren, wenn Maschinen uns immer überzeugender "imitieren" können.
Umfrage zeigt: Jeder Fünfte plaudert lieber mit ChatGPT anstatt mit Kollegen // t3n.de
Eine Indeed-Umfrage unter 500 deutschen KI-Anwendern zeigt eine wachsende Präferenz für die Zusammenarbeit mit KI-Systemen gegenüber menschlichen Kollegen. 19 Prozent der Befragten arbeiten lieber mit KI-Assistenten, während 28 Prozent keine Präferenz zeigen. 25 Prozent halten KI-Anwendungen für kompetenter als ihre Kollegen, weitere 29 Prozent sehen sie als gleichwertig an. Die Nutzung von KI im Arbeitsalltag ist vielfältig: 51 Prozent nutzen sie für Inspiration, 45 Prozent für Problemlösungen, 36 Prozent für Arbeitsbewertungen, und ein Drittel stellt berufliche Fragen lieber der KI als Kollegen. Bemerkenswert ist auch, dass jeder Fünfte bereits informelle Gespräche mit KI-Systemen geführt hat.
Zeichnet diese Umfrage bereits ein Bild der zukünftigen Arbeitswelt? Während wir traditionell soziale Kompetenzen und Teamfähigkeit als Schlüsselqualifikationen vermitteln, scheint die neue Generation bereits eine "digitale Introvertiertheit" zu entwickeln – eine Präferenz für vermeintlich urteilsfreie, stets verfügbare und (fast) immer kompetente KI-Kollegen.
Es ist ohne Zweifel wichtig, dass die konstruktive Nutzung von KI-Tools gelehrt und gefördert wird. Doch es muss zunehmend auch ein Bewusstsein für die ethischen und gesellschaftlichen Aspekte der aktuellen Entwicklungen vermittelt werden.
Empfindungsfähige KI: Uneinigkeit darüber kann die Menschheit spalten // heise.de
Philosophieprofessor Jonathan Birch von der London School of Economics warnt vor einer gesellschaftlichen Spaltung bezüglich der Frage nach der Empfindungsfähigkeit künftiger KI-Systeme. Wissenschaftler prognostizieren die Möglichkeit von KI-Bewusstsein bereits für 2035. Die Debatte wirft komplexe Fragen auf: Wie lassen sich KI-Emotionen messen? Welche Rechte sollten empfindungsfähigen KI-Systemen zugestanden werden? Kritisiert wird auch das mangelnde Interesse der Technologieunternehmen an der Auseinandersetzung mit den potenziellen und realen gesellschaftlichen Folgen ihrer Entwicklungen.
Bei derartigen Schlagzeilen stellen wir uns die Frage, wie wir die nächste Generation auf eine Welt vorbereiten wollen, in der die Definition von "Bewusstsein" und "Empfindungsfähigkeit" fundamental infrage gestellt wird.
Müssen Bildungseinrichtungen zu Räumen werden, in denen diese komplexen ethischen Fragen nicht nur diskutiert, sondern auch emotional verarbeitet werden können? Brauchen wir einen neuen Bildungsansatz, der Philosophie, Ethik und Technologieverständnis vereint und unsere Kinder befähigt, in einer Welt zu navigieren, in der die Grenzen zwischen fühlenden und nicht fühlenden Entitäten verschwimmen? In unserer von multiplen Krisen geschüttelten Welt liegt eine gewisse Ironie darin, dass gerade die Debatte um fühlende KI uns zwingt, unsere eigene Menschlichkeit und Empathiefähigkeit neu zu reflektieren.
Schulbarometer: Schüler mögen ihre Lehrkräfte (meistens) // news4teachers.de
Das Deutsche Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung offenbart einen deutlichen Hilferuf der Schülerschaft nach mehr emotionaler Unterstützung: Während 75 Prozent der Lehrkräfte als grundsätzlich freundlich wahrgenommen werden, vermissen 37 Prozent der Schüler ermutigendes Feedback und Zuspruch bei schwierigen Aufgaben. Die psychische Belastung ist erheblich – mehr als jeder vierte befragte Schüler bewertet seine Lebensqualität als niedrig, 20 Prozent bezeichnen sich als psychisch belastet. Die größten Sorgen bereiten globale Konflikte (39 Prozent), Leistungsdruck und Klimawandel (je 25 Prozent). Während soziale Beziehungen als wichtigster positiver Faktor genannt werden, belasten häufige Unterrichtsstörungen (83 Prozent) und mangelnde individuelle Betreuung (41 Prozent) den Schulalltag.
Vor dem Hintergrund der menschlich immer überzeugender agierenden KI-Systeme ist die hohe Nachfrage der Schüler nach emotionaler Unterstützung und echtem Austausch brisant. Denn die weiter oben festgestellte wachsende Präferenz von Arbeitnehmern, mit KIs zu kommunizieren, ist bei jüngeren Menschen umso leichter vorstellbar. Mit nur schwer absehbaren Konsequenzen.
Doch genau hier liegt auch eine Chance für Lehrkräfte, wenn sie denn die notwendige Unterstützung erhalten: Nämlich in der Fähigkeit zu echter Empathie, zur Schaffung eines vertrauensvollen Lernumfelds und zur Förderung authentischer sozialer Interaktionen. Die Zukunft des Lehrberufs wird sich nicht in der Konkurrenz mit KI um Wissensvermittlung entscheiden, sondern in der Fähigkeit, echte menschliche Bindungen aufzubauen und einen Raum für gemeinsames emotionales Wachstum zu schaffen – Qualitäten, die kein noch so ausgefeilter Algorithmus ersetzen kann.