Durchblick #54: Bildungsauftrag KI – Was der Arbeitsmarkt fordert
Updates für Bildung in einer exponentiellen Welt
Liebe Leser und Leserinnen,
willkommen zum neuen “Durchblick”. Die Schlagzeilen der letzten Wochen zeichnen ein widersprüchliches Bild: Während Studien dramatische Veränderungen durch KI am Arbeitsmarkt prognostizieren, sehen Zukunftsforscher in ihr den großen Gleichmacher unserer Zeit. Kreative bangen um ihre Existenz, während gleichzeitig viele Menschen an der grundlegenden KI-Nutzung scheitern. Was bedeutet diese Entwicklung für unsere berufliche Zukunft? Und wichtiger noch: Wie müssen wir Bildung neu denken, um in dieser transformativen Phase niemanden zurückzulassen?
Lassen Sie sich inspirieren, heute vom Schwerpunkt “Wandel des Arbeitsmarkts”. Haben Sie noch Fragen oder Ideen? Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
KI-Studie: Kreativen droht Wegfall von 25 Prozent des Einkommens // heise.de
Die Internationale Konföderation der Verwertungsgesellschaften (CISAC) hat eine globale Studie zu den Auswirkungen Künstlicher Intelligenz auf die Kreativwirtschaft veröffentlicht. Die Ergebnisse zeichnen ein besorgniserregendes Bild: Während KI-Unternehmen wie OpenAI, Google oder Anthropic bis 2028 ein Umsatzwachstum auf 64 Milliarden Euro erwarten, drohen der Kreativbranche massive Einbußen. Im Musiksektor wird in den nächsten vier Jahren ein Einkommensverlust von fast 25 Prozent prognostiziert, im audiovisuellen Bereich rechnet man mit einem Rückgang von über 20 Prozent. Besonders dramatisch könnte es Übersetzer und den Synchronisationsbereich treffen, wo Verluste von bis zu 56 Prozent drohen. Auch Drehbuchautoren und Regisseure müssen mit Einkommenseinbußen von 15 bis 20 Prozent rechnen. Die Verluste entstehen durch KI-generierte Inhalte und die unentgeltliche Nutzung kreativer Werke für KI-Training. Die Studienautoren fordern dringend politische Regulierungen zum Schutz der Kreativen.
Die CISAC-Ergebnisse werfen wichtige Fragen für das Bildungssystem auf. Während wir unseren Nachwuchs traditionell ermutigen, kreative Berufe als sichere Karrierewege zu betrachten ("Kreativität kann nicht automatisiert werden"), zeigt sich nun eine andere Realität. Die zentrale Herausforderung für Bildungsinstitutionen wird sein, Kreativität neu zu definieren – weg von der reinen Contentproduktion, hin zur strategischen Orchestrierung von Mensch-KI-Kollaborationen. Künftige Kreativschaffende müssen lernen, KI als Instrument zu nutzen, statt mit ihr zu konkurrieren. Dies erfordert eine radikale Neuausrichtung kreativer Ausbildungen: Neben künstlerischen Fähigkeiten werden KI-Kompetenz, adaptives Denken und hybride Arbeitsweisen zu Kernqualifikationen. Die Kunst der Zukunft liegt vielleicht weniger im eigenhändigen Schaffen, sondern im Dirigieren des Zusammenspiels von menschlicher und künstlicher Kreativität.
KI übernimmt Freelancer-Jobs: Texter, Coder und Grafiker sind besonders betroffen // the-decoder.de
Eine neue Studie des Harvard Business Review untersucht die Auswirkungen von KI auf den Freelancer-Arbeitsmarkt. Die Analyse von 1,4 Millionen Stellenanzeigen zwischen 2021 und 2023 zeigt einen dramatischen Einbruch bei automatisierbaren Tätigkeiten um durchschnittlich 21 Prozent. Besonders betroffen sind freiberufliche Texter (-30,37 Prozent), Softwareentwickler (-20,62 Prozent) und Grafikdesigner (-17,01 Prozent). Die Einführung von ChatGPT markiert dabei einen deutlichen Wendepunkt. Gleichzeitig steigt der Wettbewerbsdruck: Mehr Bewerber konkurrieren um weniger Jobs, während die Anforderungen an Qualifikationen zunehmen. Interessanterweise wird ChatGPT-Kompetenz zunehmend selbst zur gefragten Qualifikation, besonders in der Softwareentwicklung. Die Forscher betonen, dass sich generative KI durch ihre kontinuierliche Verbesserung fundamental von früheren Automatisierungstechnologien unterscheidet.
Die hier genannte Studie erweitert die oben bereits genannten Berufe (Musiker, Übersetzer, Drehbuchautor, Regisseur) um weitere Berufsgruppen wie Softwareentwickler und Grafikdesigner. Es wird klar, dass generell eine breite Palette von kreativen Berufen von KI grundlegend verändert wird.
Was wir zeitnah benötigen, ist eine ehrliche Neubewertung dessen, was noch als "zukunftssicher" im Sinne von “KI-sicher” vermittelt wird. Die genannten Berufsbilder werden zwar nicht verschwinden, aber sie werden ganz neue Kompetenzprofile erfordern und Aspiranten mit “klassischer” Ausbildung werden es zunehmend schwerer haben am Arbeitsmarkt.
OECD: Generative KI verändert bislang sicher geglaubte Jobs // heise.de
Die OECD hat einen Bericht über die Auswirkungen generativer KI auf den Arbeitsmarkt veröffentlicht, der einen Paradigmenwechsel aufzeigt: Anders als bisherige Automatisierungswellen betrifft KI vorwiegend hoch qualifizierte, kognitiv-kreative Tätigkeiten in urbanen Gebieten. In Deutschland sind bereits 25–30 Prozent der Arbeitnehmer von generativer KI betroffen, mit steigender Tendenz auf über 50 Prozent. Besonders stark betroffen sind die Finanz-, Kommunikations- und Technologiebranche, während klassische Bereiche wie Landwirtschaft und Bauwesen weniger Veränderungen erwarten. Die OECD prognostiziert jedoch keinen Jobverlust, sondern eine Produktivitätssteigerung von 5,6 Prozent über fünf Jahre. Allerdings erwarten 61 Prozent der europäischen Arbeitnehmer, dass sie neue Fähigkeiten erlernen müssen.
Die OECD-Studie vervollständigt das Bild, das sich bereits in den vorherigen Analysen abzeichnete: Wir erleben eine historische Umkehrung der Automatisierungslogik. Während frühere Wellen primär niedrigqualifizierte Tätigkeiten betrafen, zielt KI auf die vermeintliche "Bildungselite". Dies stellt unser Bildungssystem vor ein fundamentales Dilemma: Je höher der Bildungsabschluss, desto wahrscheinlicher der KI-Einfluss auf die berufliche Zukunft.
Die prognostizierte Produktivitätssteigerung bei gleichzeitigem Umschulungsbedarf deutet darauf hin, dass lebenslanges Lernen von der Floskel zur existenziellen Notwendigkeit wird. Bildungseinrichtungen müssen sich von "Einmal-Qualifizierern" zu "permanenten Lernbegleitern" entwickeln, die ihre Absolventen durch multiple Karrieretransformationen begleiten. Die Zukunft gehört adaptiven Bildungssystemen, die so dynamisch sind wie die KI-Technologien, auf die sie vorbereiten.
Weniger produktiv durch künstliche Intelligenz? Warum uns viele KI-Tools im Alltag langsamer machen // t3n.de
Eine von Intel beauftragte Studie untersucht die Auswirkungen von KI-Tools auf die Arbeitsproduktivität in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Überraschenderweise zeigt sich, dass KI-Nutzer für Routineaufgaben oft mehr Zeit benötigen als Menschen, die ohne KI arbeiten. Während Beschäftigte durchschnittlich 15 Stunden pro Woche für Standard-Computeraufgaben aufwenden, verlängert sich diese Zeit bei KI-Nutzung häufig durch ineffiziente Anwendung der Tools. Die Studie identifiziert mehrere Hindernisse: 44 Prozent halten KI für ein Gimmick, 51 Prozent sehen sie nur für Spezialisten als nützlich an, und 86 Prozent haben Datenschutzbedenken. Intel empfiehlt bessere Einführungsprogramme und klarere Kommunikation des KI-Potenzials.
Die vorherigen Studien haben klar aufgezeigt, wie wichtig eine kompetente Nutzung von KI-Tools in zukünftigen Jobprofilen sein wird. Die Ergebnisse der Intel-Studie machen nun bewusst, dass dies nur durch eine gezielte Qualifikation erreicht werden kann.
Es wird häufig stark vereinfachend suggeriert, dass man einer KI “ja nur sagen muss”, was man erreichen möchte, und schon erhält man das perfekte Ergebnis. In der Realität erfordert es jedoch viel Kompetenz und Erfahrung, um KI-Tools wirklich produktivitätssteigernd und damit konkurrenzfähig einsetzen zu können.
KI als Chance: Warum die Angst vor Jobverlust unbegründet ist // focus.de
Der Zukunftsforscher Thomas Druyen präsentiert in seinem Beitrag eine optimistische Perspektive auf KI als Demokratisierungswerkzeug. Er argumentiert, dass KI besonders für sozial Schwächere neue Chancen eröffnet, indem sie bisher exklusives Wissen und Bildung kostenlos zugänglich macht. Druyen identifiziert vier Hauptbereiche des Potenzials: den demokratisierten Wissenszugang, vereinfachte Behördenkommunikation, neue Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung und niedrigschwellige Wege in die Selbstständigkeit. Im Gegensatz zu verbreiteten Ängsten vor Jobverlusten sieht er in KI einen "Türöffner" für Menschen ohne traditionelle Bildungsprivilegien.
Druyens Perspektive bildet einen interessanten Kontrapunkt zu den vorherigen Studien. Während OECD, Intel und andere vor allem die Disruption bestehender Strukturen betonen, richtet er den Blick auf das emanzipatorische Potenzial von KI.
Besonders bemerkenswert ist dabei die Verschiebung des Bildungsparadigmas: Während traditionelle Bildungswege oft soziale Ungleichheit reproduzieren, könnte KI diese Muster durchbrechen. Allerdings setzt dies voraus, was die Intel-Studie als größte Herausforderung identifiziert hat: die Kompetenz zur effektiven KI-Nutzung.
Dies stellt das Bildungssystem vor eine doppelte Aufgabe: Einerseits muss es Menschen befähigen, KI als Lerninstrument zu nutzen – also "Lernen durch KI" ermöglichen. Andererseits muss es die Fähigkeit vermitteln, KI als Werkzeug zu beherrschen – also "Lernen über KI" fördern. Nur wenn beides gelingt, kann aus dem theoretischen Demokratisierungspotenzial praktische Chancengleichheit werden.