Fluch und Segen: Unser ambivalentes Verhältnis zu künstlicher Intelligenz
KIs, insbesondere Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT, haben 2023 den Massenmarkt erobert und bieten vielfältige Anwendungsmöglichkeiten im Alltag.
Trotz des Hypes um KI, gibt es auch viele Bedenken. Z.B. hinsichtlich der möglichen Manipulation von Menschen und Medien und der Übernahme von menschlichen Arbeitsplätzen.
Andererseits kann KI den Zugang zu Spezialwissen demokratisieren, Chancengleichheit fördern und Produktivität und Kreativität steigern.
Fakt ist, dass wir ohne den Einsatz von KI in der selbstverursachten Datenflut zu ertrinken drohen. Die Frage ist nicht, ob wir KI einsetzen sollten, sondern welche KI wir für welchen Zweck einsetzen werden und wie wir den Menschen die notwendige Medienkompetenz vermitteln.
2023 kann ohne Zweifel als das Jahr bezeichnet werden, in dem künstliche Intelligenz (KI) den Massenmarkt erobert hat. Möglich gemacht hat das ein einzelnes Tool: ChatGPT. Mit einer Million Nutzern nach nur fünf Tagen und einhundert Millionen Nutzern nach bereits zwei Monaten setzte es neue Rekordmarken.
Was folgte, war eine Explosion von KI Online-Tools und der Release von Konkurrenzprodukten wie Googles Bard oder Metas LLama. Inzwischen sind diese Tools für viele Menschen aus ihrem Alltag gar nicht mehr wegzudenken. Die Anwendungsbeispiele sind vielfältig und reichen von interaktivem Suchmaschinen-Ersatz über das Schreiben von Mails, Social Media Posts, Hochzeitsreden oder Programmcode bis zum Erstellen von komplexeren Medien wie Bildern, Videos und Podcasts.
Der Fluch
Aber bei aller Begeisterung wurden auch schnell kritische Stimmen laut. Denn die sogenannten Large Language Models (LLMs), zu denen die meisten der heute für die private Nutzung verfügbaren Systeme gehören, sind Blackboxen. Wie genau solch eine KI zu ihren Ergebnissen kommt, ist typischerweise undurchschaubar und hängt sowohl von den Trainingsdaten als auch von einem manuell programmierten Regelwerk ab.
Das wirft die Frage auf, ob wir der KI vertrauen können. Fakt ist, dass die gelieferten Ergebnisse nicht immer korrekt sind und darum stets verifiziert werden sollten. Außerdem können KI-Systeme – absichtlich oder unabsichtlich – allein durch die Auswahl der Trainingsdaten ideologisch eingefärbt sein und die Nutzer subtil beeinflussen, ohne dass diese sich dessen bewusst sind.
Noch mehr Unbehagen bereitet vielen die Tatsache, dass mithilfe von KI inzwischen sehr überzeugende “Fake News” produziert werden können. Dabei handelt es sich meistens um gefälschte Bilder, Videos oder Tondokumente von prominenten Personen, die über Social Media verbreitet werden und so täuschend echt wirken können, dass sie nicht ohne Weiteres als Fälschung erkannt werden.
Aber die größte Kontroverse lösen immer noch die übermenschlichen Fähigkeiten von KI aus, verbunden mit der Sorge, dass sie uns mehr und mehr der Aufgaben abnimmt, mit denen wir heute unseren Lebensunterhalt verdienen. Dass KIs in naher Zukunft alle Arten von Fahrzeugen steuern werden, ist schon länger bekannt. Aber die Fähigkeiten von LLMs, beispielsweise juristische Texte zu verarbeiten und zu verfassen, ganze Drehbücher zu schreiben, medizinische Diagnosen zu stellen oder Programmcode zu schreiben, sind erst jetzt in das kollektive Bewusstsein gerückt. Kaum ein Job scheint mehr sicher zu sein.
Selbst die Wissenschaftler und Unternehmer, die aktuell vom KI-Hype profitieren und bereits an der nächsten Generation von LLMs arbeiten, haben im März 2023 in einem offenen Brief zur Vorsicht gemahnt. Sie plädieren darin für eine langsamere Veröffentlichung von neuen KI-Modellen, um die Gesellschaft nicht zu überrollen und ins Chaos zu stürzen.
Der Segen
Und doch wären die verfügbaren KI-Tools nicht so erfolgreich, wenn der Nutzen die empfundenen Risiken nicht bei Weitem überwiegen würde. Was ist es also, das KI für die private Nutzung so unwiderstehlich macht?
Pro-KI Argumentationen werden häufig in sehr großer Flughöhe geführt. Es wird angeführt, dass KI uns helfen kann, neue Erkenntnisse und Perspektiven zu erlangen, und dass der Einsatz von KI in der Wissenschaft uns Fortschritt und Wachstum beschert. Insbesondere in Bereichen wie Klimawandel, Ernährung und Gesundheit können die positiven Auswirkungen signifikant sein. Und davon profitieren in besonderem Maße auch die ärmeren Regionen unserer Welt.
Das alles ist absolut richtig, es erklärt aber nicht den globalen Hype von 2023. Für den Einzelnen sind bei der Entscheidung, KI aktiv zu nutzen, vermutlich andere Kriterien deutlich relevanter.
So demokratisiert KI den Zugang zu Spezialwissen und fördert die Chancengleichheit. Man kann sich juristische Dokumente erklären lassen, ohne dafür einen Juristen anheuern zu müssen. Vielleicht hat man eine Idee für eine App, aber hat keine Programmierkenntnisse, um sie auch umzusetzen. ChatGPT kann die Software für einen schreiben, solange man genau erklären kann, was es tun soll. Auf diese Weise kann man sich viel Zeit und Geld sparen und vielleicht sogar mit seinen Ideen Geld verdienen.
Und das führt uns direkt zum nächsten Vorteil: KI fördert die Produktivität und Kreativität. Man kann Dinge ausprobieren, für die einem bisher die Kompetenzen gefehlt haben. Ein Buch schreiben? Warum nicht! Ein digitales Gemälde kreieren? Absolut möglich! Und die KI kann sogar als Lehrer und Coach dienen, und einem helfen sich neue Fähigkeiten anzueignen. Vorbei sind die Zeiten, in denen man trockene oder langweilige Lehrbücher und Dokumentationen durcharbeiten musste. Der digitale Lehrer beantwortet gezielte Fragen, nennt nachvollziehbare Beispiele, stellt Übungsaufgaben in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und verliert dabei nie die Geduld oder stellt einen bloß.
Die simple Wahrheit
Womit wir schließlich beim Kern wären. Bei dem Grund, der (nicht nur) die private Nutzung von KI aus unserer Sicht so unwiderstehlich und sogar absolut unverzichtbar macht: die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen.
Wir produzieren inzwischen unglaubliche Massen an Daten und Jahr für Jahr werden es exponentiell mehr. Bereits jetzt ist ein Punkt erreicht, wo offensichtlich wird, dass wir der Menge an verfügbaren Daten nicht mehr Herr werden. Wir ertrinken in der selbst verursachten Datenflut.
Eine Studie aus dem Jahr 2022 zeigt, dass Arbeitnehmer durchschnittlich 3,6 Stunden pro Tag mit der Suche nach Informationen verbringen. Einer Steigerung von einer Stunde im Vergleich zum Vorjahr. Und hier wurde nur die Arbeitszeit betrachtet. Auch privat setzt sich diese Suche Tag für Tag fort. Klassische Suchmaschinen werden ihrer Aufgabe schon lange nicht mehr gerecht. Egal, ob es um lokale oder online verfügbare Daten geht. Die Folge ist das stundenlange Durchforsten von präsentierten Links, die nur grob dem Kontext unserer Suchanfrage entsprechen.
LLMs hingegen sind in der Lage, komplexe Suchanfragen sehr präzise zu beantworten. Und man kann Folgefragen stellen, um die Ergebnisse weiter anzupassen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Surround-Anlage für das heimische Wohnzimmer kaufen und benötigen Beratung. Die Suchmaschine entspricht dem überforderten Mitarbeiter im Elektro-Großmarkt, der Ihnen einen Produktkatalog in die Hand drückt und Sie damit grob in Richtung Hifi-Abteilung schickt. Das LLM entspricht einem Toningenieur, der jedes verfügbare Gerät bis ins letzte Detail kennt und sich geduldig die Zeit nimmt, Ihnen genau die Vor- und Nachteile jedes möglichen Setups für genau Ihren Anwendungsfall zu erklären. Ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Die Frage ist also nicht, ob wir KI nutzen sollten oder nicht. Wir haben keine andere Wahl. Die Frage ist, welche KI wir für welchen Zweck nutzen werden und ob wir die Limitierungen und Risiken im jeweiligen Kontext verstehen. Darum ist die Vermittlung von Medienkompetenz auch eine gesellschaftlich so ungemein wichtige Aufgabe.
Für mehr zu KI sowie deren zukünftigen Rolle in unserer Gesellschaft sei das Buch Scary Smart: Die Zukunft der künstlichen Intelligenz und wie wir mit ihrer Hilfe unseren Planeten retten von Mo Gawdat empfohlen.