KI und Menschlichkeit: Zwischen Haben und Sein
Wir befinden uns im exponentiellen Zeitalter, in dem technologische Fortschritte, besonders im Umfeld der KI, rasant voranschreiten. Doch diese Fortschritte erfordern Reflexion und ethische Überlegungen.
Erich Fromms "Haben oder Sein", in dem er die Unterscheidung zwischen Erwerb und Besitz und authentischem Erleben trifft, könnte einen interessanten Ansatz bieten, sich dem Thema KI vs. Menschlichkeit in der Schule zu nähern.
KI-Systeme durchdringen unsere Gesellschaft und stellen vor allem das "Haben" dar, ohne Bewusstsein oder Emotionen. Was bedeutet das für unser “Sein”?
Im schulischen Kontext könnte das Thema im Deutsch- und Ethikunterricht durch Textanalyse, kreatives Schreiben und ethische Reflexionen vertieft werden, um Schüler:innen ein besseres Verständnis der gesellschaftlichen Auswirkungen von KI zu vermitteln.
Wir leben im exponentiellen Zeitalter. Technologische Fortschritte, insbesondere in der Künstlichen Intelligenz (KI), entwickeln sich in einem atemberaubenden Tempo. Doch während wir uns auf die beeindruckenden Fähigkeiten der KI konzentrieren, lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und zu reflektieren.
Christof Koch, ein führender deutsch-amerikanischer Neurowissenschaftler, äußerte kürzlich im SPIEGEL seine Bedenken bezüglich der rasanten Entwicklung der KI: "Es wird nicht mehr lange dauern, bis Maschinen alles können, was wir Menschen können – und vieles davon wesentlich besser." Er fügte hinzu, dass Computer ihre Leistungen vollbringen, indem sie auf gewaltige Mengen Trainingsmaterial zurückgreifen. "Sie sind wie Vampire: Sie saugen die Kreativität der Menschen aus und verleiben sie sich ein." In diesem Kontext bietet Erich Fromms klassisches Werk "Haben oder Sein" eine tiefgreifende Perspektive. Fromm unterscheidet zwischen zwei Lebensweisen: dem "Haben", das sich auf Besitz und Erwerb konzentriert, und dem "Sein", das authentisches Erleben und Bewusstsein betont.
In der KI-Welt geht es hauptsächlich um das "Haben". KI-Systeme sind darauf ausgerichtet, Funktionen auszuführen und Ziele zu erreichen. Aber sie tun dies ohne Bewusstsein, ohne das "Sein". KI hat keine Emotionen, keine inneren Erfahrungen und kein Verständnis für den Kontext, in dem sie operiert.
Das exponentielle Zeitalter bringt uns beeindruckende technologische Errungenschaften, aber es bringt auch Herausforderungen mit sich. In einer Welt, die von Daten und Algorithmen dominiert wird, wo liegt der Wert des Menschlichen? Fromms Unterscheidung erinnert uns daran, dass unser wahres Selbst nicht in dem liegt, was wir haben oder tun, sondern in unserem Bewusstsein, in unserem "Sein".
Es ist verlockend, sich von den Möglichkeiten der KI mitreißen zu lassen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass Technologie nur ein Werkzeug ist. Es liegt an uns, wie wir es nutzen. Während KI uns helfen kann, effizienter und produktiver zu sein, liegt es an uns, echte menschliche Beziehungen zu pflegen, zu reflektieren und ein authentisches Leben zu gestalten. In einer Zeit, in der Maschinen immer mehr menschliche Fähigkeiten übernehmen, sollten wir uns auf unsere einzigartige Kreativität, Intuition und Empathie konzentrieren – Qualitäten, die Maschinen nicht replizieren können. Zumindest bis jetzt …
Wie kann dieses Thema im schulischen Kontext vertieft werden?
Um das Thema im schulischen Kontext zu vertiefen, bieten sich insbesondere der Deutsch- und Ethikunterricht an. Im Deutschunterricht könnten die Schüler:innen Fachartikel analysieren, um die Hauptargumente, rhetorischen Mittel und den strukturellen Aufbau zu identifizieren. Eine weitere spannende Aufgabe wäre das kreative Schreiben: Die Schüler:innen könnten Kurzgeschichten oder Essays verfassen, die eine Welt skizzieren, in der KI den Großteil menschlicher Aktivitäten übernimmt. Wie würde das tägliche Leben aussehen? Welche ethischen Fragestellungen und Dilemmata könnten in solch einer Welt auftreten?
Im Ethikunterricht hingegen könnte eine offene Diskussion über die ethischen Implikationen von KI angestoßen werden. Fragen wie "Wie verändert KI unsere Vorstellung von Menschlichkeit?" oder "Was bedeutet es, 'menschlich' zu sein in einer von Maschinen dominierten Welt?" könnten im Zentrum stehen. Des Weiteren könnten die Schüler:innen aktuelle Beispiele von KI-Anwendungen in der Gesellschaft untersuchen und die ethischen Vor- und Nachteile diskutieren. Eine tiefergehende philosophische Reflexion könnte sich mit Fromms "Haben oder Sein" im Kontext der modernen Technologie befassen und dabei ergründen, wie Technologie unsere Identität und Werte beeinflusst.
Durch die Kombination von Textanalyse, kreativem Schreiben und ethischer Reflexion können Schüler:innen ein tieferes Verständnis für die Auswirkungen von KI auf die Gesellschaft und das Individuum entwickeln. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Durchdringung aller Lebensbereiche durch KI ist dies sicherlich ein wertvoller Ansatz.
Für mehr zu KI sowie deren zukünftigen Rolle in unserer Gesellschaft sei das Buch Scary Smart: Die Zukunft der künstlichen Intelligenz und wie wir mit ihrer Hilfe unseren Planeten retten von Mo Gawdat empfohlen.
Ebenso empfehlenswert ist Erich Fromms Meisterwerk Haben oder Sein: Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft.