The Black Swan: Bildung in Zeiten des Unvorhersehbaren
In unserer globalisierten Welt gibt es eine zunehmende Verflechtung und Abhängigkeit von Systemen, wodurch selbst kleine Störungen drastische Auswirkungen haben können.
Wir müssen uns auf eine zunehmende Unsicherheit einstellen und benötigen eine anpassungsfähige Gesellschaft und deutlich robustere Systeme, um auf unerwartete “Black-Swan-Ereignisse” vorbereitet zu sein.
Die Schulen tragen eine wichtige Verantwortung bei der Vermittlung entsprechender Fähigkeiten wie kritischem Denken und einer offenen Geisteshaltung.
In der heutigen globalisierten Welt sind die Grenzen des Vorhersehbaren verschwommen. In Wirtschaft und Politik bestehen inzwischen derart komplexe Verflechtungen und Anhängigkeiten, dass selbst scheinbar kleine Störungen dramatische und oftmals unerwartete Auswirkungen haben können. Auch wenn die Menschheit schon immer mit Unsicherheiten konfrontiert war, so hat die Geschwindigkeit und Komplexität moderner Systeme inzwischen eine Umgebung geschaffen, in der traditionelle Vorhersagemodelle oft versagen. In dieser neuen Realität ist Ungewissheit nicht nur eine gelegentliche Störung, sondern ein konstanter Begleiter.
The Black Swan
Nassim Nicholas Talebs Buch "The Black Swan" hat die Art und Weise, wie wir über Risiko und Vorhersagbarkeit denken, revolutioniert. Laut seiner Definition ist ein Black Swan ein unvorhersehbares Ereignis, das außerhalb der normalen Erwartungen liegt und potenziell schwerwiegende Auswirkungen hat. Beispiele sind die Finanzkrise von 2008 oder die Covid-19 Pandemie.
Taleb unterscheidet in seinem Buch zwischen zwei Welten: Mediocristan und Extremistan. In Mediocristan haben Ereignisse eine normale Verteilung und sind vorhersehbar (z.B. eine durchschnittliche Körpergröße zwischen 1,50 m und 2,00 m). In Extremistan hingegen können einzelne Ereignisse enorme Auswirkungen haben und das Gesamtbild ständig verändern. Im Buch werden diese gegensätzlichen Welten verwendet, um die gesellschaftlichen Auswirkungen beider Prämissen zu beleuchten.
Unsere moderne Welt, insbesondere in Bereichen wie Wirtschaft, Technologie und Kultur, neigt dazu, sich immer mehr in Richtung Extremistan zu bewegen. Die globale Verflechtung in allen Lebensbereichen und ein starker Fokus auf wirtschaftliche Effizienz in den vergangenen Jahrzehnten, hat zu sehr zerbrechlichen Systemen geführt, die die Wahrscheinlichkeit von extremen Ereignissen deutlich erhöhen.
Viele Vorhersagemodelle berücksichtigen dabei nicht, was nicht gesehen wird oder was bisher noch nie passiert ist. Taleb argumentiert, dass das, was wir nicht wissen oder sehen, oft wichtiger ist als das, was wir wissen oder zu wissen glauben. Menschen neigen dazu, Muster zu erkennen, wo keine existieren, und übersehen oft die Möglichkeit von Black-Swan-Ereignissen, weil sie sich auf das stützen, was sie kennen. Dies ist teilweise auf unsere kognitive Verzerrung zurückzuführen, die bekannte Informationen bevorzugt und das Unbekannte ignoriert oder herunterspielt. Die Tendenz, die Komplexität der Welt zu vereinfachen, kann uns in eine Falle locken, indem wir annehmen, dass die Zukunft der Vergangenheit ähneln wird. Unsere Beschränkung auf das bekannte Wissen kann auch zu einem falschen Gefühl der Sicherheit führen, und lässt uns unvorbereitet auf unerwartete Ereignisse treffen. Es ist daher unerlässlich, eine offene Geisteshaltung zu bewahren und die Grenzen unseres Wissens anzuerkennen, um besser auf das Unerwartete vorbereitet zu sein und daraus zu lernen, wenn es eintritt. Diese Art von Demut ist jedoch leider nur noch selten anzutreffen, in einer Welt, in der sich online jeder zu allem eine schnelle Meinung bilden kann.
Die Rumsfeld Matrix
Zur Einordnung von Ungewissheit und Risiko wird häufig die sogenannte Rumsfeld Matrix herangezogen. Sie stellt die verschiedenen Abstufungen von Ungewissheit dar, wobei das “unbekannte Unwissen” die Kategorie ist, in der die Black-Swan-Ereignisse angesiedelt sind.
Zukünftig werden wir uns mehr und mehr auf künstliche Intelligenzen verlassen, um diese Ungewissheit zu navigieren. Doch auch das verspricht nur eine trügerische Sicherheit. KI repräsentiert die Spitze menschlicher Innovation, obwohl sie momentan noch in einem kindlichen Entwicklungsstadium ist. Ihre Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, übertrifft oft menschliche Fähigkeiten und sie wird deshalb sicher eine Hilfe sein bei der Navigation der Rumsfeld Matrix. Aber selbst fortschrittliche KI-Systeme stoßen an ihre Grenzen, wenn es um die Kategorie des “unbekannten Unwissens” geht, da sie auf den vorhandenen Daten und Algorithmen beruhen und nicht das Unvorhersehbare antizipieren können.
Wir stimmen deshalb Talebs Argumentation zu, dass wir nicht versuchen sollten, Black-Swan-Ereignisse vorherzusagen. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, Systeme zu schaffen, die robust genug sind, um die Auswirkungen solcher Ereignisse zu überstehen und neu entstehende Chancen zu nutzen. Dies beinhaltet die Entwicklung von Strukturen und Strategien, die unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Technologie widerstandsfähiger gegenüber unerwarteten Schocks machen.
Die Rolle der Schulen
Unsere Schulen haben die Verantwortung, eine Generation auszubilden, die sich genau diesen Herausforderungen stellen muss.
Sie müssen die Schüler darauf vorbereiten, die verschiedenen Formen des Wissens und Unwissens erfolgreich zu navigieren. Die Förderung von kritischem Denken, Anpassungsfähigkeit und einer offenen Geisteshaltung sind dabei essenziell. Aber auch das Verständnis dafür, dass unsere gesellschaftlichen und technologischen Systeme eine wesentlich stärkere Robustheit benötigen in einer Welt, die mehr und mehr von schwarzen Schwänen geprägt sein wird.
Wer sich eingehender mit dieser Thematik auseinandersetzen will, der findet mehr dazu im Buch Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse von Nassim Nicholas Taleb.